Schreiben und Lesen...

        

... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.


 

 


Wir machen Karsten einen schönen Tag

oder

„Als mich der Typ in der Rüstung überholte, 

hatte ich keinen Bock mehr.“


Das hier ist eine Geschichte, die man am besten verstehen kann, wenn man ein alter Läufer ist. Erst dann bekommt sie die richtige Würze, da der Blick von Seiten des Alters her ein ganz anderer ist.


Ich bin seit 27 Jahren Langstreckenläufer und Trainer einer Laufgruppe. Zu Beginn dieser Zeit war ich dynamisch, schnell, ausdauernd und konnte schnelle Zeiten laufen. Das hat sich mittlerweile geändert. Ich weiß noch immer genau, wie alles funktioniert, nur bei der Umsetzung hapert es. Die „schnellen Zeiten“ sind vorbei.


So wir mir geht es einigen in der Laufgruppe. Auch Karsten ist so ein Fall. Vor über 20 Jahren lief er den Marathon in 2:35 Stunden. Das ist noch immer der „High Peak“ in unserer Gruppe. Heute dauert der Spaß schon mal eine halbe Stunde länger.


Dazu kommt, dass die ganzen „Jungspunde“, denen wir das Laufen beigebracht haben, uns heute abhängen. Das kann manchmal ziemlich frustrierend sein. In dieser Geschichte drehen wir den Spieß einmal um.


Der Hermannslauf ist ein Eldorado für Volksläufer. 6000 Läuferinnen und Läufer treffen sich dort, um die 31 Kilometer vom Hermannsdenkmal nach Bielefeld zu laufen. In diesem Jahr sind Natascha, Jacqueline, Jan, Marco und Karsten dabei.


Als Trainer weiß ich ungefähr, was unsere Mädels und Jungs draufhaben. Bleiben wir mal bei den Jungs. Jan ist momentan der schnellste von den Dreien. Marco ist derjenige, der auf jede Menge Berge und Wildnis steht. Karsten ist der „alte“ Marathon-Straßen-Crack. Also eigentlich eine klare Sache. Jan und Marco müssten in diesem Dreikampf den Sieg unter sich ausmachen. Karsten wird vermutlich ein paar Minuten später ins Ziel eintrudeln. Doch manchmal kommt es anders.



Karsten hatte im letzten Jahr gesundheitliche Probleme, die ein regelmäßiges Training verhinderten. Das hat sich in diesem Jahr deutlich gebessert und er ist in eine gute Form gekommen. Jan ist noch immer schnell, aber er lässt sich hin und wieder zu einem „Schnellstart“ verleiten und seine Karosserie ist momentan auch nicht so wirklich gut abgestimmt. Marco hat seine Knieprobleme in den Griff bekommen und ist gut drauf. Da er mein Nachbar ist, sehe ich in fast jeden Tag. Am Freitag vor dem Hermannslauf sah ich ihn auf seinem großen Grundstück Rasen mähen. Gäbe es eine Delligser Meisterschaft im Rasenmähen, Marco würde sie gewinnen. Ausdauernd und schnell pest er mit dem Mäher über die Wiese. Einen Tag später sehe ich ihn auf dem Dach arbeiten. Ständig die Leiter hoch und runter. Okay, denke ich, direkt vor einem Wettkampf ist das vielleicht gar nicht mal so gut. Lassen wir uns überraschen.


Als der Startschuss fällt, schießt Jan nach vorn. Marco geht hinterher. Karsten lässt sich noch ein wenig Zeit. Er kennt die Strecke, er weiß, was er ungefähr draufhat, und niemand treibt ihn. 13 Kilometer vor dem Ziel sieht alles ganz normal aus. Jan vorn, Marco dahinter und Karsten ein paar Minuten weiter zurück. Aber dann. Jan sagte mir später: „Ich bin zu schnell losgelaufen. Irgendwann wurde es zäh. Bei Kilometer 20 hat mich Marco überholt. Bei Kilometer 27 ist Karsten vorbeigegangen. Und als mich dann der Hermann, also so ein Typ mit Rüstung und Schwert überholt hat, da hatte ich keinen Bock mehr. Ich war völlig fertig.“



Weil es so schön war, durfte Karsten dann auch noch Marco „einsammeln.“ Auch ihm ging am Ende die Puste aus. So kam Karsten als erster der schnellen Drei ins Ziel. Das hätte niemand vorher gedacht. Manchmal kommt es halt anders.


Als ich heute mit Karsten eine Rennradrunde gedreht habe, fragte ich ihn: „Sag mal. Die Beiden hintenraus zu überholen das war doch wie Weihnachten und Neujahr zusammen, oder?“ Karsten lachte: „Das war einfach nur geil. Vor allem hätte ich das nie gedacht. Vermutlich wird das auch nicht wieder passieren. Das machte die Sache doppelt schön.“


Ja, so sieht das beim Laufen aus. Nicht immer, aber halt manchmal. Und wenn man dann im fortgeschrittenen Alter noch einmal genießen darf, im Wettkampf alles richtig gemacht zu haben, dann hat man einen wunderbaren Tag erlebt.



Thomas Knackstedt