Schreiben und Lesen...

        

... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.


 


Rad fahren macht Freu(n)de.


Ich bin in letzter Zeit sehr viel mit dem Rad unterwegs. Meine 7 „kleinen Mulis“ die im Stall stehen, wollen alle bewegt werden. Dem muss ich natürlich nachkommen. Das ist verdammt abwechslungsreich. Es gibt ein Fixie, zwei Mountainbikes, drei Rennräder und ein Gravel Bike, die allesamt auf Ausfahrten stehen. Von Asphalt bis Matschepampe ist da jeder Untergrund zu erkunden. Dabei erlebt man natürlich immer wieder kleine Besonderheiten. So auch in der letzten Woche.


Als Pensionär verfüge ich über ein komfortables Zeitkonto. Da ich mir keinerlei neue Hobbies oder Beschäftigungen zugelegt habe, ist ausreichend Zeit zum Schlafen, lesen, Rad fahren und Laufen vorhanden. Heute habe ich mir vorgenommen eine Ausfahrt zum Harzhorn zu machen. Dieser Name hat mir bis vor kurzem noch nichts gesagt. Erst eine Dokumentation im Fernsehen zeigte mir, dass Ausgrabungen in der Nähe von Harriehausen ergaben, dass es dort im Jahr 235 nach Christi eine große Schlacht zwischen Germanen und Römern gab. Das war im Jahr 1980, als die ersten Funde von Sondengängern gemacht wurden, eine Sensation. War man doch bisher davon ausgegangen, dass die Römer zu dieser Zeit schon gar nicht mehr im Raum des heutigen Niedersachsen unterwegs waren. Harriehausen ist nicht weit weg. Genau die richtige Entfernung für eine Rennrad-Ausfahrt. Dazu verlockt noch der herrliche kleine Passanstieg von Billerbeck nach Bentierode, eine meiner Lieblingssteigungen.



Es wird trocken bleiben, der Himmel ist bewölkt, lediglich ein heftiger Wind wird mich heute hier und da ein wenig aufhalten. Zunächst kurbele ich den Radweg entlang der Bundesstraße 3 in Richtung Naensen. Nach knapp 10 Kilometern habe ich die Höhe an der Stroiter Mühle vor mir. Danach geht es dann endlich bergab. Mein Blick fällt auf die Straße nach Stroit, die jetzt von rechts kommend auf die Bundesstraße trifft. Ich erkenne einen Radfahrer, der den Anstieg von Stroit heraufkommt. Der Typ sieht auf die Ferne gut trainiert aus und wird die Stroiter Mühle ungefähr 100 Meter vor mir erreichen. Als ich jetzt näherkomme, traue ich meinen Augen kaum. Der Typ sitzt auf einem Fixie! Falls sie meine Verwunderung nicht verstehen. Ein Fixie ist ein Rad mit einer Starrachse. Will heißen: Es gibt nur einen Gang. Keine Gangschaltung. Ich besitze selbst so ein Teil und weiß: Wer damit so einen Berg hinauffahren kann, der hat Power. Somit ist mein Ehrgeiz geweckt und ich nehme die Verfolgung auf.


Die Strecke geht jetzt bergab nach Naensen. Ich schaue auf den Tacho. Der zeigt 40 km/h an. Nicht schlecht. Näher komme ich dem Fixie Fahrer aber nicht. Ich fasse einen Entschluss. Sollte der Typ jetzt links abbiegen, also dort entlangfahren, wo ich hinmöchte, werde ich auffahren und ihn ansprechen. Genau so kommt es.


Ab Naensen geht es wieder bergauf und ich trete ordentlich in die Pedale, um den vorausfahrenden Fixie-Fahrer einzuholen. Als ich neben ihn fahre, spreche ich ihn an: „Hallo. Das nenn ich mal stark. Mit einem Fixie so ein Tempo bergauf. Hut ab!“ Der Mann, der mich anlächelt, ist Mitte Vierzig, sympathisch und heißt Frank. Ich denke er ist überrascht, dass ihn überhaupt jemand eingeholt hat. Wir halten ein wenig Smalltalk. Er kommt aus Höxter und will mit dem Rad die Straßen in Richtung Gandersheim erkunden. Sein Fixie hat übrigens einen Duo-Antrieb. Das ist eine Hinterachse, die mittels Fliehkraft automatisch zwischen zwei Gängen wählt. Er hat also nicht nur einen, sondern zwei Gänge zur Verfügung. Das ist für mich nicht weniger beeindruckend. Als ich ihm erzähle, wohin ich fahren will, sagt er: „Das habe ich noch nie gehört. Weißt du was? Ich komme mit.“ Ich freue mich.


Wir haben die anstehenden 20 Kilometer zum Harzhorn heftigen Gegenwind. Unserem Tempo tut das wenig Abbruch. Wir sind schnell. Allein wäre ich heute wesentlich langsamer gefahren. Wir wechseln uns in Sachen Windschatten ab und ich muss mich lediglich an zwei hochprozentigen Steigungen etwas zurückhalten, da die Fixie-Gänge dort doch alles andere als ausreichend sind. Ich bin bass erstaunt, dass Frank diese Steigungen überhaupt treten kann. Die „Billerbecker Rampe“ mit dem Fixie fahren? Ich hätte nicht gedacht, dass das geht. Frank muss zwar durchgehend aus dem Sattel, aber er fährt. Chapeau! Der Junge ist gut! Nebenbei quatschen wir über Gott und die Welt, vor allem aber über das Rad fahren. Vielleicht habt ihr das schon mal erlebt. Es kann fantastisch sein, wenn man einen Fremden trifft, der genau so für ein Hobby brennt wie man selbst. Da vergeht die Zeit im Flug. So geht es ruckzuck und wir sind am Harzhorn.


Bild von Pavel Okrema aus Unsplash


Wir schauen uns um und werden hier ganz sicher demnächst eine Führung besuchen. Jetzt ist Frank aber erst einmal an meinem alten Radon ZR Rennrad interessiert. Er fragt, ob er diesen „Klassiker“ fotografieren darf. Natürlich darf er. Ich erzähle ihm, dass mich vor kurzem ein Rennrad-Fahrer fragte, ob das ein Titanrahmen sei und ich lachend antwortete: „Nein, das ist nur ein altes, gutes Rennrad.“


Eine Viertelstunde später sind wir auf dem Rückweg. Jetzt mit Rückenwind. Sehr angenehm. Der Tacho geht selten unter 30 Stundenkilometer und wir kommen gut voran. In Greene trennen sich unsere Wege. Wir verabschieden uns im Fahren. Sehr herzlich und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Radfahren macht Freu(n)de. Das weiß ich ganz sicher.



Thomas Knackstedt